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Ostfriesischer Volkssport Boßeln

Erinnert Ihr Euch noch an den Sportunterricht in der Schule – oder noch besser, an die Bundesjugendspiele? Meine Königsdisziplin dabei war definitiv das Werfen. Mit all meiner Gummiarm-Kraft habe in den Ball oder die Kugel vermeintlich ganz weit nach vorne und gefühlt kilometerweit nach vorne katapultiert, nur um das blöde Ding dann direkt vor meinen Füßen liegend vorzufinden. Insofern habe ich zu runden Gegenständen, die man weit befördern soll, ein eher umstrittenes Verhältnis – aber den ostfriesischen „Nationalsport“ Boßeln finde ich dennoch absolut super. Und habe mich dabei auch meistens echt ganz gut geschlagen – zumindest hab ich mich nicht komplett blöd dabei angestellt.

Die Geschichte des Boßelns

Der Sport entwickelte sich in Deutschland nach ersten Anfängen im 17. Jahrhundert vor allem im Anfang des 20. Jahrhunderts und zwar aus dem sogenannten Klootschießen. Das ist eine in Norddeutschland und eben besonders an der ostfriesischen Küste und den Inseln bekannte Sportart, die schon viele Jahrhunderte alt ist. Das Klootschießen ist wahrscheinlich aus einer vorzeitlichen Waffe heraus entstanden, die die Friesen auf gegnerische Schiffe und Truppen schleuderten. Der Begriff „Kloot“ stammt nämlich von dem niederdeutschen Wort „Kluten“, was so viel wie Erdklumpen bedeutet. In der Weiterentwicklung zum Sport benutzte man dann später schwere Flint- oder Eisenkugeln. Ursprünglich war das Klootschießen dabei ein Kräftemessen zwischen zwei Mannschaften ohne konkrete Regeln, oft zwischen rivalisierenden Nachbardörfern. Während oder nach dem Spiel gingen die Bewohner wenig zimperlich mit sich um, allzu oft endeten die Wettkämpfe in einer deftigen Schlägerei. Der Reformator Jacobus van Oudenhoven nahm deswegen 1659 beispielsweise das „Kloot werpen“ am Sonntag nach dem Gottesdienst in sein Sündenregister auf.

Erst Ende des 19. Jahrhunderts rückte der Leistungsgedanke in dem Sport mehr in den Vordergrund und verdrängte den aggressiven Kampfgeist. Bis heute gibt es eine ungeheure Bindung zwischen dieser Sportart und dem Dorfleben, was sich dadurch zeigt, dass fast jede kleine Ortschaft in Ostfriesland einen eigenen Klootschießer- oder Boßelverein hat, in denen viele Bewohner begeisterte Mitglieder sind. Als Dachverband fungiert dabei in dieser Region der Landesklootschießerverband Ostfriesland (auch ein tolles Wort für das Spiel Galgenmännchen, muss ich mir merken!).

Heute existiert das Klootschießen parallel zum Boßeln und unterscheidet sich im besonderen in der technisch sehr anspruchsvollen Wurftechnik. In einem späteren Artikel werde ich diese mal näher beleuchten und Euch vorstellen – jetzt möchte ich mich komplett dem Boßeln zuwenden.

Worum geht es beim Boßeln?

Das Schöne am Boßeln ist alleine schon, dass das Prinzip und die Regeln an sich total einfach sind. Aber es ist super schwer, das Ganze zu erklären. Ich versuche es aber natürlich gerne mal:

Ziel des Boßelns ist, eine festgelegte Strecke mit möglichst wenigen Würfen zu bewältigen. Zwei Gruppen – nennen wir sie hier mal A und B – treten gegeneinander an. Der Anwurf erfolgt von einem gewählten Startpunkt durch den ersten Spieler der Mannschaft A. Danach wirft der erste Spieler der Mannschaft B. Der Wurf ist beendet, wenn die Boßelkugel ruhig am Straßenrand oder ungünstigerweise im Graben oder Gebüsch liegen bleibt – das passiert in Ostfriesland durchaus häufig, weswegen man die Hälfte der Zeit mit Suchen beschäftigt ist. Der Anschlusswurf erfolgt von diesem Punkt. Es wirft immer die Mannschaft zuerst, deren Kugel zurückliegt. Soweit, so gut – kompliziert wird es mit der Punktevergabe. So herrlich wird diese in einem einschlägigen Buch erklärt:

„Es wirft der erste Spieler der Mannschaft A, hier im Beispiel 210m. Jetzt wirft der erste Spieler der Mannschaft B, er erreicht eine Weite von 140m. Da zwingend die Mannschaft zuerst wirft, deren Kugel zurückliegt, startet jetzt der Spieler Nr. 2 der Mannschaft B seinen Wurf, der nach 60m endet. Spieler Nr. 1 und Nr. 2 der Mannschaft B (zusammen 200m) haben gemeinsam den Wurf (210m) des Spielers Nr. 1 der Mannschaft A nicht erreicht. Die Mannschaft A hat einen Schööt (Punkt, Anmerkung von mir). Um die Paarigkeit der Spielerreihenfolge zu erhalten (Spieler Nr. 1 der Mannschaft A gegen den Spieler Nr. 2 der Mannschaft B, Spieler Nr. 2A gegen den Spieler Nr. 2B, Spieler Nr. 3A gegen den Spieler 3B usw.) darf der Werfer Nummer 2 der Mannschaft A in dieser Runde nicht boßeln. Es folgen Werfer Nr. 3B (Mannschaft B liegt hinten) und Werfer 3A“

Puh, einfacher und mit meinen laienhaften Worten ausgedrückt: Wenn eine Mannschaft es mit zwei Würfen nicht schafft, die Kugel der gegnerischen Mannschaft zu überholen, dann gibt es einen Punkt für das Team, dessen Kugel eben immer noch weiter vorne liegt. Damit aber wieder die „richtigen“ Gegner gegeneinander spielen, muss derjenige aus dem Punkte-Team, der als nächstes an der Reihe gewesen wäre, aussetzen.

Am besten spielt man es einfach – dann erklärt sich das ziemlich schnell von alleine. Generationen von Ostfriesen ist diese Zählweise in Fleisch und Blut übergegangen.

Die Technik

Jeder Boßler/jede Boßlerin hat da so seine eigene Technik, die es mit der Zeit zu finden gilt. Wichtig ist es zunächst, sich vor dem Wurf über die Beschaffenheit der Strecke zu informieren. Bei geraden oder übersichtlichen Wegen ist es möglich, einen kräftigen und wuchtigen Wurf auszuführen. Die Kurventechnik dagegen ist ausgefeilter und erfordert einen gefühlvolleren Wurf mit der Überlegung, wohin man sich auf der Straße am besten hinstellt, damit die Kugel auch die Kurve hinbekommt und nicht geradeaus in den Rabatten landet. Da zahlt sich der Physik-Unterricht von früher doch noch irgendwie aus – wer hätte das damals für möglich gehalten?!?

Für einen Boßelwurf nimmt man Anlauf oder macht es komplett aus dem Stehen (auch das ist Geschmackssache), reißt den Wurfarm kurz vor dem Wurf nach hinten und lässt ihn dann mit großer Kraft und Genauigkeit nach vorne schnellen. Dabei ist es wichtig, die Flugbahn nicht zu steil werden zu lassen, damit die Kugel nach der Landung auf dem Asphalt noch möglichst weit rollen kann. Der normale Abwurf für eine unkomplizierte Strecke wird im plattdeutschen mit „liek ut Hand“ (gerade aus der Hand) bezeichnet, während es für den Kurvenwurf die Techniken „överd Dum“ (über den Daumen) oder „överd Finge“ (über die Finger) gibt, um dem Wurfgeschoss noch den richtigen Drall mitzugeben.

In Ostfriesland wird übrigens mit Gummi-oder Kunststoffkugeln geworfen, die je nach Alter und Geschlecht der Spieler einen Durchmesser zwischen 8,5 und 12 Zentimeter haben. Trotz des Materials nennen die Boßler/innen die Kugel hier immer noch „Holz“, weil sie in früheren Zeiten aus dem Holz des Guajak-Baumes gefertigt worden war.

Unser Tipp:

Die richtige Boßelsaison beginnt in Ostfriesland im Herbst – wenn Ihr dann durch die Landstraßen der Region fahrt, kann es gut passieren, dass Ihr auf ein dreieckiges Warnschild mit der Aufschrift „Boßelspiel“ trefft und das Tempo deutlich drosseln müsst. Einige Touristenorte bieten ihren Gästen aber auch an, sich mal in dem ostfriesischen Nationalsport zu versuchen, so zum Beispiel in Werdum oder in Carolinensiel.

Dabei geht es dann hauptsächlich um den Spaß an der Sache und weniger um den Wettkampf – für die Vereine gibt es dagegen sogar nationale und internationale Meisterschaften.

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