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Krimi-Land Ostfriesland – Utas erster Kurzkrimi

Als ich noch ein ostfriesisches Inselmädchen war und auf der Nordseeinsel Juist lebte, habe ich mal einen einwöchigen Krimi-Workshop bei dem Schriftsteller-Ehepaar Sandra Lüpkes und Jürgen Kehrer mitgemacht. Wie ich in einem vorherigen Artikel hier schon berichtet habe, hat ja auch Sandra viele Jahre auf der Insel zwischen Norderney und Borkum gewohnt – uns beide verbindet also eine tiefe Liebe zu dieser Sandbank, aber auch zu ganz Ostfriesland.

Der Workshop bei dem Duo war damals total klasse: sehr intensiv, anregend und auch produktiv, denn am Ende hatte jeder Teilnehmer einen eigenen Kurz-Krimi geschrieben, der von Sandra und Jürgen lektoriert wurde und den man in einer kleinen Veranstaltung in der Juister Inselkirche vorlesen durfte. Sehr aufregend – und man war irgendwie auch echt stolz auf sich.

Und hier ist das Ergebnis – mein bisher erster (und einziger) Kurzkrimi aus Ostfriesland:

Der Ruf der Möwe

„Kannst Du mir mal verraten, worauf Du wartest?“ Die verhasste Stimme übertönte den Schrei der Möwe, die über Marias Kopf hinweg sauste, als sie aus dem Bauch der Frisia in die Juister Sonne trat. „Soll ich hier festwachsen?“ Die „Ratte der Lüfte“ jagte eine Artgenossin und Maria wusste nur zu gut, wie sich der vorweg fliegende Vogel fühlen musste: bedrängt, vielleicht sogar panisch. Peter war – wie immer – bei ihr und wartete auf sie. Lauerte in ihrer Nähe.

Seufzend machte sich Maria auf den Weg, setzte den ersten Schritt auf den Boden der Insel, gönnte sich einen kleinen Moment der Freude. Wie hing ihr Herz an diesem kleinen Sandhaufen in der Nordsee – fast hätte sie sich hier frei fühlen können. Wenn da nicht diese Fessel gewesen wäre, die ihr immer wieder die Kehle zuschnürte. Bis das der Tod euch scheidet – das kann eine verdammt lange Zeit sein.

Ihr Ehemann hing schon wieder an ihrem Rockzipfel, beobachtete ungeduldig, wie sie die Koffer aus dem Container hievte und zu einer der wartenden Kutschen schleppte, die sie zur Unterkunft bringen sollte. Der Kutscher half Peter in den Wagen und warf Maria einen mitleidigen Blick zu, weil ihr Gatte ohne ein Dankeschön in seine Richtung oder einen Gruß zu den übrigen Fahrgästen hinter der gelben Plane aus ihrem Sichtfeld verschwand. „Entschuldigung“, murmelte Maria reflexartig – hätte sie für jeden derartigen Wortbeitrag einen Euro bekommen, wäre sie bereits Millionärin.

Sie durfte vorne auf dem Kutschbock Platz nehmen, genoss während der gemächlichen Fahrt durch die Deichscharte und die Juister Straßen den allgegenwärtigen Wind in ihren Haaren und begrüßte stumm den Fahrradhändler ihres Vertrauens, den Kurplatz, auf dem gerade das Kurorchester sein Abendkonzert gab und jedes rot verklinkerte Haus. Viel zu schnell ging die Fahrt vorbei und die Kutsche hielt vor dem großen Hotelgebäude, das Maria ausgesucht hatte: exquisites Essen, Wellnessabteilung, hauseigenes Schwimmbad, Fahrstuhl und großzügige Zimmer. Schließlich sollte es Peter an nichts mangeln. „Herzlich willkommen in unserem Hotel! Sie haben das Nixen-Zimmer, die große Suite mit dem extra breiten Balkon nach Süden – von dort haben Sie einen herrlichen Blick über die Salzwiesen und das Wattenmeer… Ich hoffe, Sie…“ „Ja, ja… können wir jetzt die Schlüssel haben? Ich muss mal dringend pinkeln!“ knurrte Peter laut genug, dass die anderen Personen in der Lobby sich ansahen und versuchten, den Vorfall taktvoll zu ignorieren.

Peinlich berührt schnappte sich Maria den Zimmerschlüssel und rannte beinahe auf den Fahrstuhl zu.

Das Zimmer war wunderschön – geräumig, in verschiedenen Blautönen gehalten, der dicke Teppich dämpfte Marias Schritte, als sie zur Balkontür lief und sich im Vorbeigehen eine Weintraube aus dem Obstkorb pflückte. Sie öffnete die Tür weit und trat in die salzige Luft. Die Abenddämmerung hatte bereits eingesetzt und ein wenig Sommerhitze beiseite geschoben. Maria breitete die Arme aus, ließ so viel Glücksgefühl wie möglich in sich einströmen und rief: „Ist das nicht herrlich? Haben wir es nicht gut?“ „Du vielleicht – Du hast es ja immer `herrlich`…“ Peters Stimme troff vor Zynismus. „Was soll für mich schon gut sein?“ Wie ein Fausthieb trafen seine Worte ihr gewohntes Ziel – vorbei war der Moment der Inselfreude und Maria machte sich mit schwerem Herzen daran, das Gepäck auszupacken, während Peter missmutig in den Fernseher starrte.

Anschließend machte sie sich schick für das Drei-Gänge-Menü des Hotels, zog eins von den Kleidern an, die man zuhause nur im Kleiderschrank aufbewahrte, legte sorgfältig Make up auf, sprühte noch einen Spritzer Parfum hinters Ohr und begutachtete sich im Badezimmer-Spiegel. Müde sah sie aus – aber für ihr Alter doch gar nicht mal so schlecht. Gut – der traurige Zug um den Mund war bis vor ein paar Jahren noch nicht da gewesen – vor dem Zeitpunkt, ab dem plötzlich alles anders geworden war. Aber alles in allem konnte sie sich mit ihren 50 plus doch noch ganz gut sehen lassen – und das wollte sie jetzt aus. Wild entschlossen, sich den Abend nicht verderben zu lassen und es einfach zu genießen, dass sie nun am Ziel ihrer Träume angekommen war, öffnete sie die Badezimmertür.

Peter saß immer noch in der gleichen Zimmerecke. „Was hast Du Dich denn so raus geputzt? Haste heute noch was Besonderes vor?“ Sein Blick fixierte sie und seine grauen Augen musterten jedes Detail an ihr. „Und angemalt hast Du Dich wie eine Hure…“

Heiße Tränen schossen in Marias Augen – aber sie drängte sie zurück, zusammen mit der Demütigung und dem Wunsch, ihn zu schlagen. Ihm sein dreckiges Grinsen aus dem Gesicht zu treten. „Geduld!“ mahnte sie sich selbst. „Deine Zeit wird kommen.“

Das Essen war wahrscheinlich großartig – doch für Maria schmeckte alles gleich. Nichts war schlimmer, als gemeinsam einsam zu sein – niemand kannte den großen Kern Wahrheit in diesem einfachen Satz besser als sie. Peter schwieg beharrlich und verfolgte jeden Bissen, den sie zum Mund hob, wie eine futterneidische Möwe, so dass sie von jedem Gang nur einen Bruchteil aß.

Danach wollte Peter in die Hotelbar. Ihre Ankunft blieb nicht unbemerkt, etliche Gäste verrenkten sich fast, um ihnen nachzuschauen, bis sie endlich am Tresen angelangt waren. Maria bemerkte es schon gar nicht mehr, aber Peter schnauzte in die Runde: „Was? Ist euer eigenes Leben so langweilig, dass Ihr so glotzen müsst?“

Mit hochrotem Kopf bestellte sich Maria ein Glas Weißwein-Schorle. Peter wollte einen Sex on the beach – mit extra viel Alkohol. Sein süffisantes Grinsen ließ ahnen, welcher Spruch gleich kommen würde. „Denn richtigen Sex am Juister Strand wirst DU mit mir jedenfalls nicht mehr bekommen.“ Er erhob das Glas. „Darauf trinke ich doch!“

Für Peter gab es noch viele Cocktails und für Maria noch weitere Gemeinheiten, herausgepresst zwischen dem Strohhalm und seinen verkniffenen Lippen. Irgendwann brachte Maria ihn aufs Zimmer. Sobald sein Kopf auf dem Kissen lag, war er auch schon eingeschlafen. Maria stand neben dem Bett und betrachtete den Mann, den sie vor fast 25 Jahren geheiratet hatte. Gott, was war sie verliebt gewesen in diesen gutaussehenden Jungen, der in jeder freien Minute Sport trieb, der so viel lachte und meinte, die ganze Welt gehöre ihm. Was war bloß aus ihm geworden – und aus ihr? Aus ihnen beiden?

Kurz entschlossen schnappte sich Maria ihre Wolljacke und den Schlüssel und ließ die Zimmertür leise ins Schloss fallen. Jetzt hatte sie es eilig – sie wollte ans Meer. An die Stelle, wo sie schon so oft gestanden hatte – wo der Horizont mit den Wolken verschwamm und die Wellen an ihren nackten Füssen spielten.

Sie zählte die beleuchteten Krabbenfischer-Boote auf dem Meer und wanderte gegen den Westwind Richtung Loog, dem kleineren Nebenort. Dort ging sie den Strandaufgang hoch und bemerkte, dass im Loogster Stuv noch Licht brannte. Jetzt ein „Feierabendbierchen“, dachte sie und musste über den Ausdruck lachen, denn er passte so gar nicht in ihr Leben. Und genau deswegen betrat sie die Kneipe. Wann hatte sie schon Feierabend?

Wieder im Hotel, schloss sie ganz sachte die Tür auf, zog sich im Dunkeln aus und wollte gerade behutsam unter die Decke schlüpfen, als sie im Restlicht zwei Augen sah, die sie anstarrten. Peter rührte sich nicht, brauchte er nicht, seine Blicke waren Waffen. „Wo bist Du gewesen?“ Seine Stimme klang ganz ruhig – und das war besonders gefährlich. „Ich?… nur eine Runde spazieren… Brauchte noch mal frische Luft…“ Selbst in ihren Ohren klang das lahm und kläglich.

„Und warum stinkst Du dann nach Bier?“

Eigentlich hatte Maria noch warten wollen – einen guten Plan zurecht legen und sich nach allen Seiten absichern. Doch jetzt, heute Nacht, konnte sie ihn keine Sekunde länger ertragen…

Wie sie ihn letztendlich so schnell und leise durch die dunkle Nacht ans Meer bekommen hatte? Keine Ahnung. Die letzten Minuten waren in ihrem Gehirn einfach nicht mehr vorhanden – es funktionierte erst wieder, als sie bis zur Hüfte im Wasser stand. Peter vor ihr – regungslos…

Wie er es seit dem schrecklichen Autounfall nun mal war. Durch ihre Schuld. Maria umklammerte die Griffe des Rollstuhls und schob ihren Mann noch ein Stückchen weiter in die Brandung. Sie keuchte, die Räder setzten sich immer wieder im glitschigen Boden fest.

Plötzlich seine Stimme. „Ich wusste es…“

Sie hielt inne, musste sich inzwischen selbst am Rollstuhl festklammern, denn die Flut kam nun mit Gewalt, brachte sie aus dem Gleichgewicht.

„Was willst Du gewusst haben – Hä? Was?“ Maria schrie gegen die Brandung, gegen den Wind und gegen ihre Angst an.

Peter blieb ruhig. Unheimlich ruhig. „Dass ich Dich soweit bekomme… Dass Du mir noch mal mein Leben nimmst – diesmal richtig!“

Marias Finger verkrampften sich um die Griffe.

„Schieb, Maria – bring es zu Ende! Bring mich endlich um…“

Sie schaffte es gerade noch bis zur Promenade, bis sie zusammenbrach und sich auf dem gepflasterten Weg hinlegte, wie ein müdes Kind nach einem langen Strandtag. Dann stand sie auf…

„Jetzt sind wir quitt“ sagte sie zu der völlig durchnässten Person, die neben ihr kauerte: bewegungslos, aber lebendig – und für immer in seinem Körper und in sich selbst gefangen.

Maria ließ ihn dort, drehte sich nicht einmal um – während sie den Weg zum Dorf runter lief, schrie über ihrem Kopf eine Möwe…

Unser Tipp:

Bei Sandra Lüpkes und Jürgen Kehrer kann man auch weiterhin derartige Workshops besuchen – Termine findet man u.a. auf den Homepages. Ich kann das nur empfehlen!

 

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