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Die Geschichte des Ostfriesenwitzes

Die Geschichte des Ostfriesenwitzes

Warum findet man immer eine leere Flasche im Kühlschrank eines Ostfriesen? Falls er Besuch bekommt und der Gast nichts trinken möchte.

Dies ist ein Beispiel für einen typischen Ostfriesenwitz. Davon gibt es eine ganze Menge – manchmal hat man den Eindruck, so viele wie es Sandkörner am Nordseestrand gibt. Und ich muss zugeben – ich bin sozusagen mit dieser Art Witzen auf Kosten dieses besonderen Volkes in Norddeutschland aufgewachsen. In meiner Kindheit und frühen Jugend habe ich sie gerne gehört, weitererzählt, darüber gelacht und wenig darüber reflektiert, dass man hier ja im Prinzip die Bevölkerung einer ganzen Region ziemlich lächerlich macht. Aber wie sind diese Witze eigentlich entstanden und wie fühlen sich die Ostfriesen mit diesen Scherzen auf ihre Kosten? Ich bin der Sache mal auf den Grund gegangen.

Wie entstand der Ostfriesenwitz?

Man nennt im Allgemeinen eine solche Veräppelung „Volksgruppenwitze“, weil sie meist von einer landsmannschaftlichen Gruppe über eine andere, benachbarte Gruppe erzählt werden. In den USA handelten sie beispielsweise von polnischen oder schwedischen Einwanderern, und in der Schweiz werden diese Witze über Leute aus dem ungeliebten Nachbarkanton erzählt.

Ursprünglich hat die Geschichte des Ostfriesenwitzes dabei einen durchaus ernsten Hintergrund. Vor langer Zeit hatte es blutige Kämpfe zwischen den Ostfriesen und den in Nachbarschaft lebenden Ammerländern gegeben. Und wie das in der Natur des Menschen oftmals so ist: diese Feindschaft konnte nie so gänzlich ausgeräumt werden. Ähnlich wie zwischen Düsseldorf und Köln oder Juist und Norderney: bis heute ist man sich nicht richtig grün und nimmt sich gerne gegenseitig aufs Korn.

Insofern gab es besonders in der oben beschriebenen Region schon sehr lange diese Reibereien: das Ammerland mit der Kreisstadt Westerstede zählt sich zu Oldenburg, während das nur zehn Kilometer von Westerstede entfernt liegende Städtchen Remels schon zu Ostfriesland gehört. In Westerstede mischte sich also der Einfluss von Oldenburg und Ostfriesland, denn zum Beispiel ging mancher Schüler aus Remels hier aufs Gymnasium.

Und genau an dieser Schule nahm dann die Welle des Ostfriesenwitzes seinen konkreten Anfang: der spätere Neurologe und Psychiater Borwin Bandelow wuchs in Westerstede auf und verbrachte dort eben auch – beeinflusst von der ständigen Fehde zwischen den ostfriesischen Schülern und denen aus Oldenburg – seine Schulzeit. Besonders auf einer 1968 stattfindenden Klassenfahrt nach Berlin steigerten sich die üblichen Neckereien immer mehr, so dass Borwin eine Idee kam. Er arbeitete als Autor bei der dort ansässigen Schülerzeitung „der Trompeter“ und dachte sich nach der Reise die Rubrik „Aus Forschung und Lehre“ aus, in der er den „Homo ostfrisiensis“ vorstellte – als „eine Spezies von exemplarischer Begriffsstutzigkeit und kerniger Stupidität“. Darüber hinaus begann er, die im Grunde genommen schon überall in der Region erzählten Ostfriesenwitze regelmäßig abzudrucken.

Was macht ein Ostfriese, wenn er ein Loch im Boot hat? Er bohrt ein Zweites, damit das Wasser ablaufen kann.

Schon bald schmunzelte halb Westerstede über den neu angefachten Streit der alten Rivalen. Und wie ein Stein, der ins Wasser geworfen wird, entstanden daraus weitere wachsende Wellen. Bald griffen Oldenburger Studenten diese Gehässigkeit als großen Spaß auf. Sie verbreiteten Neues unter dem Titel „Ostfrisia non ridet – sed nos.“ (grob übersetzt, denn es ist kein wirklich korrektes Latein, bedeutet das so viel wie: Ostfriesland lacht nicht – aber wir tun es). Rundfunkmoderatoren und immer mehr Zeitungen griffen das Thema auf, 1971 berichteten sogar der „Spiegel“ über, wie es hieß, „die jüngsten Opfer des deutschen Humors, die Ostfriesen“, wenig später auch der „Stern“ und „die Zeit“. Auch Komiker wie Karl Dall oder Otto Waalkes griffen die speziellen Witze auf, so dass sie auch noch über die 80er Jahre hinaus in aller Munde waren und erst allmählich von den Blondinenwitzen abgelöst wurden.

Bilderquelle: …

Wie und warum funktionierte der Ostfriesenwitz?

Inhaltlich sind die Witze so gut wie immer ganz simpel nach einem Frage-Antwort-Schema aufgebaut:

„Warum haben die Ostfriesen immer Holzschuhe an? – Damit sie sich beim Gras fressen nicht in die Zehen beißen.“

Wiard Raveling, der als Gymnasiallehrer ebenfalls im besagten Gymnasium Westerstede tätig war und außerdem Autor ist, gilt als der gründlichste Chronist des Ostfriesenwitzes. Er hat über die eher einfache und schlichte Konstruktion dieser Scherze mal bemerkt, dass die Eingangsfrage den Vorteil birgt, dass jedem sofort klar ist: das ist ein Witz! Und zwar ein Ostfriesenwitz. Wenn mein Gegenüber die Antwort bereits kennt, braucht man nicht weiterzuerzählen.

„Woran erkennt man, dass ein Ostfriese am Computer gearbeitet hat? – Am vielen Tipp-Ex auf dem Bildschirm.“

Im Grunde geht es immer darum, dass der Ostfriese als dümmlich hingestellt wird und oft scheitert. Das ist natürlich so absolut nicht richtig und hat sehr wenig mit der Realität zu tun. Es mag eventuell damit im Zusammenhang stehen, dass Ostfriesland verschiedene Herrscher und Besetzungen erlebt hat, ohne sich klein kriegen zu lassen. Die berühmte friesische Sturheit und das sich nichts aufzwingen lassen, steht halt für sich. Dazu kommt, dass – zumindest noch vor 40-50 Jahren – die Bevölkerung Ostfrieslands weit mehr als andere Gegenden Deutschlands in vielerlei Hinsicht einheitlicher und geschlossener wirkte. Da war zum einen die abgeschiedene, oft noch bäuerlich-ländlich anmutende Lage zwischen den Niederlanden und dem Wattenmeer. Und bis heute haben sich in dieser Region ja auch – glücklicherweise! – viele Traditionen und Eigenarten hartnäckig gehalten: Die wenigsten Menschen hier trinken Kaffee – man trinkt Tee, und zwar pro Kopf der Bevölkerung gleich zehnmal soviel wie durchschnittlich im übrigen Deutschland. Viele Kinder heißen hier eben nicht Kevin oder Lena – sondern Geeske, Tammo, Onno oder Leevke. Vielerorts spricht man noch Platt, auch wenn die friesische Sprache leider längst ausgestorben ist. In Ostfriesland pflegt man seine Bräuche, über die ich ja auch immer schon mal hier berichtet habe.

„Eigenbrötlerisch, wortarm, zäh und ungelenk: intellektueller Brillanz und tollkühnem Fortschritt bedächtig abgeneigt; bodenständig, stark und blond – so will die Legende die Deutschen zwischen Marsch und Ems…“ so wurden die Ostfriesen mal beschrieben. Und ich bin wirklich keine Freundin von Schubladen im Kopf – aber so ein bisschen ist ja was dran. Ich habe es jedenfalls oft so erlebt – und ich liebe es!

Und wie sehen die Ostfriesen das selber? Wie empfinden die diese Späße auf ihre Kosten? Ich hab bei ein paar waschechten Ostfriesen nachgefragt:

Wolfgang aus Hage: Die Ostfriesenwitze waren immer gut. Und von wegen dumm: ich habe sehr lange auf Juist gelebt und musste immer „Entwicklungshilfe“ auf dem Festland leisten – die konnten da nämlich nicht ihre Autos reparieren. Da musste erst einer von einer autofreien Insel kommen…

Heidi aus Wirdum: Mich haben Ostfriesenwitze nie geärgert, ich fand/finde das nur lustig. Zum Thema Stolz: ich freu mich, sagen zu können, ich bin in Ostfriesland geboren und aufgewachsen.

Heike aus Norden: Als Kind hab ich mich schon über die Ostfriesenwitze ein wenig geärgert, weil es gefühlt für mich nur diese Scherze über mich gab. Heute sehe ich das anders, weil ich eben auch wirklich froh bin, mich echte Ostfriesin nennen zu dürfen.

Jan aus Leer: Ich fand die Ostfriesenwitze nicht wirklich schlimm. Früher hat es (fast) keiner als Diskriminierung oder ähnliches empfunden. Einfach mal locker bleiben. Und ob ich stolz bin, ein Ostfriese zu sein? Es ist mir nicht ganz unangenehm – um es mal im typisch ostfriesischen Enthusiasmus zu sagen… 🙂

Unser Tipp:

Es gibt einige Bücher über und mit Ostfriesenwitzen, zum Beispiel von Onno Freese, Thorben Heiber oder dem oben erwähnten Wiard Raveling. Fragt bei Interesse in gut sortierten Buchhandlungen der Region. Bei den „Lesezeichen“-Geschäften in Emden, Norden und Aurich erhaltet Ihr mit der Ostfrieslandcard 10% Rabatt auf Euren Einkauf.

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