Ostfrieslands Mühlen: Ostfriesland und seine Klischees – ein Thema, über das sich locker ein ganzer Artikel schreiben ließe. Es heißt, in Ostfriesland gibt es nur plattes Land weit und breit, man sieht heute schon, wer morgen zu Besuch kommt. In Ostfriesland wird den ganzen Tag nur Tee getrunken, das Wasser an der Wattenmeerküste ist nie da, wenn man es braucht und überhaupt sieht man nur Wallhecken, schwarzweiße Kühe und Leuchttürme, soweit das Auge reicht. Eher kühl und zurückhaltend soll der Ostfriese an sich sein, die Ostfriesenwitze dafür aber meistens wahr.
Wieviel Wahrheit auch immer in den bekannten Klischees über unser schönes Ostfriesland steckt – eine Sache stimmt definitiv. Ostfriesland ist das Land der Windmühlen. Kein Bauwerk prägt das Erscheinungsbild der Region zwischen Dollart und Jadebusen mehr als die beflügelten Kraftwerke.
Von den unzähligen Windmühlen, die in den vergangenen Jahrhunderten zum Mahlen von Getreide oder zur Entwässerung genutzt wurden, sind in Ostfriesland heute noch etwa 90 Exemplare erhalten. Die meisten von ihnen sind nicht mehr in ihrer ursprünglichen Funktion tätig, sondern werden zu Schauzwecken betrieben oder bieten Museen oder gastronomischen Betrieben Platz.
Zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde eine Windmühle in Ostfriesland 1424 in Esens und die älteste noch erhaltene Mühle ist die 1626 erbaute Bockwindmühle in Dornum. Unsere Region kann im Mühlensektor mit einigen Superlativen glänzen. So gibt es hier beispielsweise den kleinsten Erdholländer Niedersachsens und Deutschlands höchste noch windbetriebene Kornmühle in Aurich. Außerdem hat Ostfriesland die einzige funktionsfähige Doppelkolbenwasserpumpmühle des Landes in Wirdum sowie die einzige niedersächsische Inselwindmühle auf Norderney zu bieten.
Viele Windmühlen in Ostfriesland sind Teil der Niedersächsischen Mühlenstraße, einer Touristikroute, die Besucher zu den Mühlen des Bundeslandes führt und so unter anderem zur Denkmalpflege beiträgt.
“In Ostfriesland giebt es keine Wasser-, sondern Windmühlen, so zahlreich, daß man von den Wällen zu Emden oft 27 zugleich in der Arbeit sieht, eine Bewegung auf der meilenweiten Ebene, welche der ganzen Gegend in unermeßlichem Umkreise ein reges Leben giebt, und mit den wogenden Roggenfluren, den Pferden, Rindern, Kühen, Schafen, welche auf den Wiesen weiden, dem Auge eine malerische Gestaltung darbietet, welche auf die Sinne und Gefühle eine magische Einwirkung erzeugt, das Gemüth erheitert und das Herz erwärmt.” So schwärmte bereits Johann Wilhelm von Archenholz Mitte des 18. Jahrhunderts von der von Windmühlen geprägten ostfriesischen Landschaft. Er war preußischer Offizier, Schriftsteller und Herausgeber mehrerer Zeitschriften.
Ein ostfriesisches Klischee, das also wirklich der Wahrheit entspricht – Die Windmühlen tragen nicht nur bis heute entscheidend zum typischen Landschaftsbild der Region bei, sondern sind häufig sogar zum Wahrzeichen der einzelnen Orte geworden. Wir stellen euch im Folgenden einige besondere ostfriesische Windmühlen vor.
Ostfrieslands Mühlen – Meints Mühle in Aurich
Zwischen Wohnhäusern, Vorgärten und Einbahnstraßen steht im Auricher Stadtteil Tannenhausen der kleinste Erdholländer des Bundeslandes. Für alle Nicht-Mühlenexperten: Bei einem Erdholländer handelt es sich um eine spezielle Gattung der Holländermühle, der modernsten Form der klassischen Windmühle. Die Mühle ist ebenerdig und einstöckig gebaut. Dadurch reichen ihre im Durchmesser zwölf Meter langen Flügel fast bis auf den Boden. So kommt der Erdholländer auch zu seinem zweiten Namen, nämlich Grundsegler. Mit etwa 6,5 Metern Höhe ist Meints Mühle wesentlich kleiner als ihre häufiger anzutreffenden, großen Verwandten, die Gallerieholländer.
Als der Müllermeister Meints die Windmühle 1923 kaufte, aus der Nähe von Wittmund nach Tannenhausen bringen und hier im Ödland aufstellen ließ, war sie schon 56 Jahre in Betrieb. Der 1867 in Endzetel erbaute Erdholländer wurde dort bereits als Wasserschöpf – und Mahlmühle genutzt. Bis 1951 lief die Mühle ausschließlich mit Windenergie, dann wurde sie durch einen Elektromotor unabhängig vom Wind und fungierte bis zu ihrer Stilllegung etwa 1960 als Getreidemühle.
Heute wird die historische Mühle durch den Mühlen -, Verkehrs- und Heimatverein Tannenhausen als Museumsmühle betrieben und ist Teil der Niedersächsischen Mühlenstraße. Nach einer Restaurierung in den 1990er Jahren, als auch das benachbarte Packhaus neu erbaut wurde, sind die Mahleinrichtungen wieder funktionsfähig und die Schrot- und Motormahlgänge in Betrieb.
Nach telefonischer Absprache sind Führungen durch Meints Mühle inklusive ostfriesischer Teezeremonie möglich.
Ostfrieslands Mühlen – Stiftsmühle in Aurich
Dem Heimatverein Aurich haben wir zu verdanken, dass die Stadt ein im wahrsten Sinne des Wortes herausragendes Wahrzeichen hat. Die Stiftsmühle an der Oldersumer Straße stand 1977 kurz vor dem Verfall, als sich der Heimatverein ihrer annahm und sie in den Folgejahren sogar zu einem Mühlenfachmuseum ausbaute. Nach einer umfangreichen Grundsanierung vom 2000 bis 2002 ist der Gallerieholländer heute die höchste noch funktionsfähige historische Kornwindmühle in ganz Deutschland.
Mit ihren 29,95 Metern erhebt sich die Stiftsmühle aus dem mittlerweile eng bebauten Gebiet westlich der Innenstadt. Als der Müllermeister Hermann Knoop 1858 den Grundstein für die Stiftsmühle legte, stand diese noch weit außerhalb der Stadt und war eine von fünf Windmühlen in Aurich. Doch das heutige Kulturdenkmal hatte schon damals eine Besonderheit zu bieten: Die Kornwindmühle von Müller Knoop war die erste fünfstöckige Windmühle Ostfrieslands.
Die Stiftsmühle ist nicht nur wegen ihrer begehbaren Galerie in 17 Metern Höhe, die eine bemerkenswerte Aussicht über Aurich bietet, einen Besuch wert. Weil die alte Mühltechnik noch vollständig erhalten ist, kann man live dabei sein, wenn, exakt wie vor mehr als 150 Jahren üblich, Korn zu Mehl wird. Auf allen fünf Etagen der Stiftsmühle informiert das Mühlenfachmuseum mit Originalexponaten und Modellen über die Geschichte des Windmühlenwesens. Hierzu werden regelmäßig Führungen angeboten. Außerdem erfahrt ihr in einem ostfriesischen Backhaus auf dem Mühlengelände, wie im 19. Jahrhundert aus dem frisch gemahlenen Mehl Brot gebacken wurde.
Ostfrieslands Mühlen – Westgaster Mühle in Norden
Der dreistöckige Galerieholländer wurde 1863 erbaut. In der Westgaster Mühle in Norden wurde noch bis in die 70-er Jahre Korn gemahlen. Die Mühle arbeitete äußerst effektiv: Bei gutem Wind konnten in einer Stunde bis zu einer Tonne Getreide verarbeitet werden. 1988 erwarb der damalige Bürgermeister der Stadt Norden, Gerhard Campen, die Windmühle. In dem denkmalgeschützten Bauwerk gibt es bereits seitdem einen Hofladen und eine Teestube.
Der Verein Westgaster Mühle veranstaltet jährlich ein Mühlenfest, und die Windmühle kann in den Sommermonaten täglich auf eigene Faust besichtigt werden. Jeden Donnerstagnachmittag gibt Führungen durch das historische Gebäude.
In der Westgaster Mühle wird regelmäßig ganz traditionell Brot gebacken und zum Kauf angeboten. Ein Besuch lohnt sich vor allem im Café der Mühle. Hier gibt’s Kaffee und Ostfriesentee, selbstgebackenen Kuchen und kleine, frische Köstlichkeiten aus regionalen Zutaten. Als Inhaber einer OSTFRIESLANDCARD bekommt ihr im Café zwei Heißgetränke zum Preis von einem und im Bio-Hofladen einen Rabatt von 10% auf Gemüse, Obst, Eier ab einem Einkaufswert von 20 Euro.
Ostfrieslands Mühlen – Selden Rüst auf Norderney
Die Entstehungsgeschichte der Windmühle „Selden Rüst“ auf Norderney ist schnell erzählt: Schon im 19. Jahrhundert besuchten die Insel jährlich mehr Kur- und Urlaubsgäste, als sie selbst Einwohner hatte. Die Hand- und Pferdemühlen waren bald nicht mehr effizient genug, und der Transport von Mehl vom Festland auf die Insel war aufwendig und kostspielig. Um die Norderneyer Bäcker selbst mit ausreichend Mehl versorgen zu können, erbaute im Jahr 1862 der Müller Ihbe Lammers Hellmers die Windmühle auf der Insel. Bei gutem Wind konnte „Selden Rüst“ täglich etwa fünf Tonnen des auf der Insel angebauten Getreides Weizen, Roggen und Gerste verarbeiten und damit die hungrigen Norderneyer und ihre Gäste versorgen.
„Selden Rüst“, niederdeutsch für „Selten Rast“ oder „Selten Ruhe“, steht auf einer flachen Düne, die sich zur Zeit ihrer Erbauung noch im Überflutungsgebiet befand. Heute findet man sie östlich des Stadtzentrums in der Nähe der Napoleonschanze am neuen Kurpark. Sie ist die einzige Inselwindmühle Niedersachsens.
Die Mühle ist ein einstöckiger Gallerieholländer und somit die modernste Form der klassischen Windmühle. Sie ist als einziges Gebäude auf der Insel mit Reet gedeckt und steht als Bau- und Industriedenkmal unter Denkmalschutz. Das Jahr 1951 war ein schwarzes Jahr für „Selden Rüst“: Erst brach bei einem heftigen Sturm ein Flügel, dann fiel sie einige Monate später nach Reparaturarbeiten einem Brand zum Opfer. Die Norderneyer Feuerwehr konnte damals die völlige Zerstörung gerade noch verhindern.
„Selden Rüst“, wo noch bis zum Jahr 1962 Getreide gemahlen wurde, ist seit 2010 ausgewiesener Standort der „Niedersächsischen Mühlenstraße“. Während der Urlaubssaison wird sie jeden Mittwoch von 10-12 Uhr zu Schauzwecken in Gang gesetzt. Im ausgebauten Erdgeschoss findet ihr einen Gastronomiebetrieb.

Lena Reuter, geboren 1985 in Aurich, kommt aus und schreibt über Ostfriesland. Unter anderem arbeitet Sie an Ihrem Krimi-Debüt und hat die 111 Orte- Reihe mit Büchern über Norderney und Aurich bereichert.
Ostfrieslands Mühlen – Wahrzeichen mit Geschichte
Ostfrieslands Mühlen: Ostfriesland und seine Klischees – ein Thema, über das sich locker ein ganzer Artikel schreiben ließe. Es heißt, in Ostfriesland gibt es nur plattes Land weit und breit, man sieht heute schon, wer morgen zu Besuch kommt. In
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